Remo F. Roth

Dr. oec. publ., Ph.D.

dipl. analyt. Psychologe (M.-L. v. Franz)

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© copyright 1996 by Remo F. Roth, Zürich


Die WELTSEELE - gestern und heute

[wichtige Ergänzung vom 7.7.2003 s. am Schluss]

 

HTML IconLuzifer, der gefallene Engel, entspricht nicht nur dem Teufel, wie das Christentum uns weismachen will.

”Luzifer” heisst wörtlich ”der Lichtbringer”. Daher symbolisiert er auch das ”Liecht der Natur” (Paracelsus).

Dieses ”Liecht der Natur” stellt ein mondhaftes Gegenprinzip zu unserem sonnengeprägten Intellekt dar und kann nur in einer tiefen Introversion erfahren werden.

Das Mittelalter nannte dieses Gegenprinzip die WELTSEELE (anima mundi). Sie musste durch menschliches Bemühen aus der Mutter Erde (mater materia) befreit werden. Diese Befreiung der WELTSEELE aus der Mutter Erde bedeutete das zentrale Element des alchemistischen Opus (Werk), und sie entsprach einer - man höre und staune - ”Gotterlösung durch den Menschen” (C.G. Jung).

Es ist eben diese kosmische Weltseele, welche Jung das kollektive Unbewusste genannt hat, die uns in der Nacht ihre Traumbotschaften schickt. Eine regelmässige Betrachtung und Deutung der eigenen Träume entspricht daher einer modernen Art der Befreiung der Weltseele, wie sie Paracelsus zu Beginn der Neuzeit schon versucht hat.

Jung hat weiter entdeckt, dass die kosmische Weltseele über ein von ihm so genanntes ”vorbewusstes” oder ”absolutes Wissen” verfügt. Daher besitzen unsere Träume auch ein symbolisch verschlüsseltes Wissen um unsere Zukunft. Eine seriöse Traumdeutung kann uns daher auch aus einer Lebenskrise heraus und in eine neue Zukunft hineinführen.

Die WELTSEELE ist immer überall. Sie umfasst daher räumlich gesehen den ganzen Kosmos und zeitlich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Derart verbindet sie uns auch mit der Welt des Jenseits, mit der Welt, in die wir nach dem Tod eingehen werden. Träume handeln daher des öfteren - so beispielsweise bei Menschen in der zweiten Lebenshälfte und vor allem während der midlife crisis - auch von der Möglichkeit eines Lebens nach dem Tod. Vor allem aber geben sie uns Hinweise darauf, welche Aufgabe wir in diesem Leben erfüllen müssen, um in ein individuelles Leben im Jenseits hineinwachsen zu können. Es zeigt sich dabei, dass ein wesentlicher Aspekt dieser diesseitigen Aufgabe die Arbeit am Aufbau eines Hauchkörpers für das Leben nach dem Tod darstellt (Näheres dazu s. Was uns die Träume über ein mögliches Leben nach dem Tod sagen).

Diese zwei Aspekte des Traumes - jener des Wissens um die Zukunft und jener des Lebens nach dem Tod - werden heute von der Psychologie sträflich vernachlässigt. Sie werden uns daher im TRAUM-NETZWERK besonders beschäftigen.

Um zu sehen, wie die WELTSEELE diese Botschaft einem Menschen des 20. Jahrhunderts beibringen will, wollen wir uns einen archetypischen Traum eines ungefähr 30jährigen Mannes ansehen. Im Zeitpunkt des Traumes arbeitete er als Mathematiker und identifizierte sich voll und ganz mit dem sonnenhaften Intellekt. Dies führte ihn in eine existentielle Lebenskrise. In dieser träumte er den folgenden

Traum vom erneuerten,”mondhaften” Christus:

”Christus ist, nachdem er gekreuzigt worden ist (aber noch nicht auferstanden) zu den sieben seiner neun Jünger, die ihm treu geblieben sind, zurückgekehrt. [RFR: Der Traum ersetzt die zehn von zwölf Jüngern - untreu wurden Judas und Petrus - durch die sieben von neun!] Diese sieben Jünger haben sich in meinem Arbeitszimmer versammelt. Sie kommen zusammen mit Christus (d.h. total 8 Leute) von meinem Arbeitszimmer in mein Schlafzimmer und gehen oder schweben dann zum Fenster hinaus. Ich sehe ihre dunklen Gestalten in einen leisen Schimmer gehüllt. Ich will Licht anzünden, doch es brennt nicht. Christus kann offensichtlich bewirken, dass es dunkel bleibt.”

Die Deutung dieses Traumes würde ein ganzes Buch füllen. Hier sei nur darauf hingewiesen, dass dieser Christus in wesentlichen Aspekten Luzifer entspricht. Wie dieser kehrt er aus der Hölle zur Erde zurück und ist Herrscher über das mondhafte ”Liecht der Natur”. Der leise Schimmer der Gestalten weist zudem auf den Hauchkörperaspekt dieses erneuerten Christus hin. Als auferstehender Gottmensch lebt er ewig und symbolisiert daher auch das Leben nach dem Tod. Der Konflikt zwischen 7 und 9 entspricht jenem zwischen dem Christentum beziehungsweise dem Logos und dem Heidentum beziehungsweise dem Eros im weitesten Sinn. 

 

Anmerkung vom 7.7. 2003:

Als ich diese Charakterisierung der Weltseele im Jahre 1996 schrieb, unterschied ich noch nicht zwischen dem Zentrum des kollektiven Unbewussten, dem Selbst C.G. Jungs, und der Weltseele. Heute weiss ich hingegen, dass hinter dem kollektiven Unbewussten eine weitere Schicht kommt, die sich grundsätzlich davon unterscheidet. Während erstere dem Prinzip des Logos zugeordnet werden kann, gehört letztere zur Welt des Eros im weitesten Sinn des Wortes. Es ist diese Welt des Eros, in der die Weltseele (und auch die dazu parallele Körper-Seele) herrscht. Ich nenne daher Jungs Zentrum das Logos-Selbst, jenes der Weltseele (anima mundi) das Eros-Selbst.

Wir müssen somit auch zwischen den Äusserungen aus der Welt des Selbst C.G. Jungs und jenen aus dem Reich der Weltseele unterscheiden. Gewöhnliche Träume, auch archetypische, erscheinen uns aus der Welt des kollektiven Unbewussten, ebenso das oben erwähnte "vorbewusste" oder "absolute Wissen". Jungs Begriff der Synchronizität gehört ebenfalls zu diesem Bereich. Dabei grenze ich diese, wie Jung, auf die telepathischen Phänomene ein, klammere also ausdrücklich die psychokinetischen Ereignisse, wie etwa den berühmten Pauli-Effekt aus.

Immer mehr erleben heutige Menschen jedoch Träume, die sie als "viel körperlicher", oder "viel realer" als gewöhnliche (auch archetypische) Träume schildern. Des öfteren sind diese verbunden mit psychokinetischen Phänomenen, mit so genannten Entführungen in UFOs (abductions) oder out-of-body-Phänomenen (OBE). Es sind eben diese Phänomene, die aufgrund der Theorie C.G. Jungs nicht mehr erklärt werden können, da in ihnen ein offensichtlicher Austausch zwischen physischer beziehungsweise physikalischer Energie einerseits und psychischer Energie - letztere auch im Sinne des Englischen Ausdrucks "psychic", das heisst, im parapsychologischen Sinn verstanden - stattfindet. Eben einen solchen Energieaustausch haben jedoch sowohl C.G. Jung als auch Wolfgang Pauli strikte abgelehnt, ersterer weil er die Psyche als ein in sich geschlossenes System betrachtete, letzterer aufgrund des Dogmas des Energieerhaltungssatzes, der eine solche Transformation verbietet.

Dieser Energieaustausch zwischen physischer und psychischer Energie (letztere im Sinne des englischen Ausdrucks gemeint) bildet die Grundlage jener Phänomene, die ich der Schicht der Weltseele zuordne. Trotz ihrer oben erwähnten Ablehnung des Energieaustausches zwischen der Welt des kollektiven Logos und jener des kollektiven Eros, haben sowohl Wolfgang Pauli als auch C.G. Jung nach einer Vereinigung gesucht. Pauli nannte diese letzte Schicht die psychophysische Einheitswirklichkeit, C.G. Jung entlehnte dafür den Begriff des Alchemisten und Paracelsusschülers Gerardus Dorneus, den unus mundus, die Eine Welt. In ihr sind alle Unterschiede zwischen Innen und Aussen, zwischen Psyche und Physis, zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos aufgehoben. 

In der mittelalterlichen Alchemie wurde dieser Energieaustausch als der so genannte Austausch der Attribute erklärt. In ihm wird das männliche Prinzip, der Logos, zum Weiblichen, zum Eros, et vice versa. Dieser Austausch der Attribute geschieht in der so genannten coniunctio, der mystischen Hochzeit zwischen dem männlich-göttlichen und dem weiblich-göttlichen Prinzip (s. dazu Der Archetypus der mystischen Hochzeit). Es ist denn auch dieses Prinzip der Vereinigung, das den Eros-Bereich des Unbewussten charakterisiert, im Gegensatz zum Prinzip der Unterscheidung des Logos.

Während die jüdisch-christliche Genesis, die Weltschöpfung am Anfang der Zeit, dem Prinzip des Logos folgte und daher von einer Unterscheidung geprägt ist (vgl. den Beginn des Alten Testamentes), wachsen wir langsam in eine Zeit hinein, in der sich der Beginn einer neuen Inkarnation abzeichnet, die dem Prinzip des Eros, der Vereinigung des Getrennten, entspricht. Die damit verbundene gewaltige kulturelle Revolution wird die Menschheit in der nächsten Zeit bewältigen müssen, will sie nicht in einem atomaren Weltkrieg, in zerstörerischen Aktionen der UFOnauten oder in der von Marie-Louise von Franz vermuteten "Rache der Mutter Erde" untergehen.


vgl. auch 

Die alchemistische Weltseele, das kollektive Unbewusste C.G. Jungs und die Konzepte der modernen Physik

Wolfgang Pauli und die Wiederkehr der Weltseele

Radioaktivität und Synchronizität im Briefwechel zwischen Wolfgang Pauli und C.G. Jung

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