Remo F. Roth

Dr. oec. publ., Ph.D.

dipl. analyt. Psychologe (M.-L. v. Franz)

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Wolfgang Pauli und die Parapsychologie

1. Teil

 


1. Paulis Gesinnungswandel in Bezug auf die Parapsychologie in den frühen Dreissigerjahren

2. Die Auseinandersetzung mit Marie-Louise von Franz und der Einbezug des psychoiden Archetypus in die Physik

3. Die Parapsychologie, der psychoide Archetypus und die psychisch erlebte Relativierung der Raumzeit

4. Die Vereinigung von Physik und Parapsychologie und die Oszillations- und Spektrumssymbolik in Paulis Träumen


 

1. Paulis Gesinnungswandel in Bezug auf die Parapsychologie in den frühen Dreissigerjahren

 

Bis zur Publikation der ersten Hälfte seiner späten Briefe von 1950 bis 1954 in den Jahren 1996 und 1999 kannte man den Physiker und Nobelpreisträger Wolfgang Pauli (1900 bis 1958) vor allem als prominenten Mitbegründer der Quantenphysik. Mit der Postulierung des nach ihm benannten Pauli-Prinzips, des Spins des Elektrons und des "Geisterteilchens" Neutrino (das eigentlich das Antineutrino ist), hat er tatsächlich ganz Wesentliches zu den essentiellen Grundlagen der Quantenphysik beigetragen.

Umso erstaunlicher scheint es auf den ersten Blick, dass Pauli sich mit zunehmendem Alter immer mehr für die Parapsychologie und in diesem Zusammenhang für eine synchronistisch verstandene Biologie und Evolutionstheorie interessierte.

Im Jahr 1934 äussert er sich in einem Brief an Jung abschätzig über die Parapsychologie. Er meint: "...selbst wenn ich [parapsychologisches Tatsachenmaterial] kennen würde, so mag Gott wissen, ob ich auch etwas davon glauben würde". Doch schreibt er diese für Physiker übliche Abwertung des Irrationalen ausgerechnet im Kontext mit seiner Wespenphobie, mit der Oszillationssymbolik (helle und dunkle Streifen; Rhythmen), die die Wespenphobie abgelöst und ihn ein Leben lang verfolgt hat, und schliesslich auch mit der Möglichkeit einer "raumzeitlosen Seinsform der Psyche".

Pauli bezieht sich in diesem Brief auf gewisse revolutionäre Ideen, die Jung in seinem Artikel Seele und Tod in jenem Jahr 1934 publiziert hatte. Dieser bezweifelt darin die alleinige Abhängigkeit der Psyche vom Gehirn, da die parapychologischen Tatsachen, vor allem die "räumlichen und zeitlichen telepathischen Phänomene", dagegen sprächen. Diese zeigten, "dass die Gehirnverhaftung der Psyche, das heisst ihre Raumzeitbeschränkung, doch nicht so selbstverständlich und unumstösslich ist, wie man bisher glaubte annehmen zu dürfen." Die aufhebende Bedingung sei in diesem Fall die [kollektive; RFR] Psyche, da sie selber "eine ihr wesentliche Eigenschaft relativer Raum- und Zeitlosigkeit" besitze.

Da Pauli in seine Briefe stets mit Absicht das Unbewusste einfliessen liess, können wir hier hypothetisch schon schliessen, dass die in ihm konstellierten parapsychologischen Phänomene - sie sind heute in Physikerkreisen als der sogenannte Pauli-Effekt bekannt (vgl. Wolfgang Pauli und die Wiederkehr der Weltseele)- etwas mit dieser Oszillations-, Frequenz- und Rhythmus-Symbolik einerseits, aber auch mit der Relativierung oder Auflösung von Raum und Zeit in gewissen veränderten Bewusstseinszuständen zu tun haben könnten.

Ziemlich genau ein Jahr nach seinen abschätzigen Bemerkungen scheint Pauli seine Ablehnung der Parapsychologie zu relativieren. Im Brief vom 22.6.35 an Jung, in dessen Anlage er ihm auch eine Traum- und Imaginationsserie aus dieser Zeit zusendet, schreibt er, dass seine "Phantasieprodukte" nun stärkere Beziehungen zur Parapsychologie entwickeln.

Auch in diesen "Phantasieprodukten" werden physikalische Termini wie "Feinstrukturkonstante", "radioaktiver Kern", "Resonanzstellen" und "Isotopentrennung" verwendet, "um Analogien mit psychischen Tatbeständen herzustellen, die ich nur sehr dunkel ahnen kann". Leider sind diese Träume noch nicht publiziert, doch wissen wir, dass Pauli in dieser Zeit (1934) auch einen Traum träumte der ihn drängte, in Betracht zu ziehen, dass sich hinter der Quantenphysik eine weitere Dimension der Realität verstecken könnte. In diesem Traum sagt ihm ein Einstein ähnlich sehender Mann, dass die Quantenphysik nur einem eindimensionalen Ausschnitt aus einem tieferen Wirklichkeitszusammenhang entspreche. Pauli war der Ansicht, dass der Einbezug dieser weiteren Dimension nicht darin bestehen konnte, der "regressiven Einstellung" Einsteins zu folgen und zu postulieren, dass hinter der Akausalität der Quantenphysik wieder physikalisch erklärbare kausale Zusammenhänge auftreten sollten. Vermutlich begann er in jener Zeit schon zu ahnen, dass dieser "Traum-Einstein", eine Schattenfigur in ihm selber darstellte, die diesen tieferen Wirklichkeitszusammenhang in eine Verbindung der Physik mit der Parapsychologie bringen wollte.

Im Laufe der nächsten 18 Jahre setzte sich dieser Gesinnungswandel in Bezug auf die Parapsychologie voll durch und kulminierte schliesslich in der Forderung, die Physik in die Richtung der Parapsychologie zu erweitern (s.u.). Es stellt sich daher die Frage, was Pauli bewogen hatte, langsam aber sicher seine Ablehnung der Parapsychologie aufzugeben und sich ernsthaft mit ihr und einer möglichen Vereinigung mit der Physik auseinanderzusetzen.

Doch kehren wir vorerst zurück in die frühen Dreissigerjahre. Nachdem Pauli während seiner grossen Lebenskrise mit ungefähr 30 Jahren (1930) mit dem Gedankengut der Psychologie C.G. Jungs in Berührung gekommen war, liess ihn diese nicht mehr los. Er begann von da an äusserst intensiv zu träumen, und diese Träume begleiteten ihn bis zu seinem frühzeitigen Tod mit 58 Jahren. Pauli wunderte sich immer wieder über die Tatsache, dass diese Träume nicht etwa die psychologische Terminologie Jungs übernahmen, sondern die rationale Sprache der Physik immer mehr in eine vordergründig völlig unverständliche symbolische Terminologie ausweiteten. So setzten beispielsweise einige dieser Träume den physikalischen Terminus "Radioaktivität" mit hartnäckiger Regelmässigkeit dem von Jung eingeführten tiefenpsychologischen Terminus "Synchronizität" gleich (vgl. Radioaktivität und Synchronizität im Briefwechel zwischen Wolfgang Pauli und C.G. Jung). Argumentiert man rein rational, muss man konstatieren, dass diese Gleichung einen völligen Unsinn darstellt, da zwischen Radioaktivität und Synchronizität - ausser dem Phänomen der Akausalität, die beiden eigen ist - meines Wissens keine weiteren Berühungspunkte auszumachen sind. Zudem war sich Pauli dieser Gemeinsamkeit der beiden Phänomene völlig bewusst, so dass gemäss der Jungschen Theorie Träume mit diesem Inhalt überhaupt nicht hätten auftreten sollen.

Gemäss dieser Theorie sind Träume nämlich "reine Natur". Da deren "Mutterlauge", die kollektive Psyche Jungs, ein selbstregulierendes System darstellt, ist es die Aufgabe der Träume, mit Hilfe des in ihnen enthaltenen "vorbewussten Wissens" (nicht mit dem Freudschen Begriff zu verwechseln) die Einseitigkeit des Bewusstseins zu kompensieren, d.h. letzterem in symbolischer Form eine neue, noch im Unbewussten verborgene, tiefere Wahrheit zu präsentieren, und so diese nicht mehr zeitgemässen Vorurteile durch eine Ausweitung des bewussten Wissens zum Verschwinden zu bringen.

Wir können heute mit Sicherheit schliessen, dass der Gesinnungswandel Wolfgang Paulis in Bezug auf die Parapsychologie auf solche "physikalisch-symbolische Trauminhalte" (Pauli) zurückgeht. Er selbst deutet im oben erwähnten Brief an Jung schon an, dass es sich um "Phantasien" handelt. Diese Technik des "Bebrütens" der Träume mit Hilfe imaginativer Techniken scheint er offensichtlich schon im Jahr 1934 von C.G. Jung [oder von seiner Schülerin Erna Rosenbaum?] erlernt zu haben, und sie half ihm ganz wesentlich, seinen physikalisch eingeschränkten Standpunkt auszuweiten.

 

 

2. Die Auseinandersetzung mit Marie-Louise von Franz und der Einbezug des psychoiden Archetypus in die Physik

 

Es fragt sich nun, welche spezifischen Traumsymbole diesen Wandlungsprozess in Pauli bewirkten. Wenn wir nämlich heute, bald 70 Jahre nach deren Auftauchen in Paulis Seele, diese Symbolik deuten und in eine rationale Sprache übersetzen könnten, wären wir einem Verständnis des Zusammenhangs von Quantenphysik und Parapsychologie schon sehr viel näher gekommen. Ein solches Verständnis wird heute immer nötiger, vor allem deshalb, weil die immer häufiger zu beobachtenden UFO-Phänomene wahrscheinlich nur erklärt werden können, wenn eine solche Vereinigung von Physik und Parapsychologie gelungen sein wird.

Um diese Arbeit durchführen zu können, müssen wir zwei unterschiedliche Tatbestände unterscheiden: Erstens müssen wir uns fragen, wie Pauli selbst seine Traumsymbolik interpretierte. Aber ebenso wichtig sind die direkten Quellen für eine solche Interpretation, nämlich die Träume und Imaginationen Paulis, die noch nicht von seinem rationalen Bewusstsein bearbeitet wurden. Leider fehlen uns heute für eine definitive Deutung die oben erwähnten Träume und Imaginationen aus dem Jahr 1934 [noch], doch lassen sich aus dem bisher publizierten Material - vor allem aus den Briefen aus den Jahren 1953 und 1954 an die Jung-Schülerinnen Marie-Louise von Franz, Aniela Jaffé und an C.G. Jung selbst - schon einige wichtige Schlüsse ziehen.

Um die aus der "Bebrütung" der Träume und Imaginationen abgeleiteten, bewussten Erkenntnisse Paulis in Bezug auf eine Vereinigung von Physik und Parapsychologie zu verstehen, müssen wir etwas weiter ausholen. Im Jahr 1953 unterbreitete er im Zusammenhang mit dem oben erwähnten Einstein-Traum vom tieferen Wirklichkeitszusammenhang C.G. Jung die Idee, dessen Psychologie - die "wie ein illegitimes Kind des Geistes ausserhalb der allgemein anerkannten akademischen Welt ein esoterisches Sonderdasein führt" - in die Physik aufgehen zu lassen, ähnlich wie die Chemie in die Quantenphysik aufgegangen sei. Jung entgegnete ihm am 24.10.53 - nach einer längeren Pause von fünf Monaten, in welchen er offensichtlich das Schlachtfeld Marie-Louise von Franz überliess (s.u.) - auf diesen Versuch einer Okkupation seiner unabhängig von der Physik gefundenen Forschungsresultate, dass es zum Geheimnis des Seins mindestens zwei Zugänge geben müsse.

Da es jedoch einer Gewohnheit Paulis entsprach, die in den Briefen an Jung vorgebrachten Argumente auch mit seinen engsten Mitarbeiterinnen Marie-Louise von Franz und Aniela Jaffé in mündlicher und schriftlicher Form zu diskutieren, besitzen wir wertvolle historische Hinweise auf das dramatische Geschehen jener Zeit. Diese Briefe zeigen, dass Pauli mit dieser Okkupationsidee bei Marie-Louise von Franz heftigste Wutanfälle auslöste . Er rät ihr [Brief 1624], die Energie ihrer "Zornesausbrüche" in die Deutung seiner Träume - so vor allem in das Motiv des auf den Psychiater C.A. Meier projizierten "Verblödeten" - zu investieren, nachdem er ihr schon vorher [Brief 1598] geschrieben hatte: "Das Problem - das ich trotz Ihrer autoritären und affektiven Erklärungen über das, was ich 'nicht verstehe' für ungelöst halte - ist die geeignete Definition von Begriffen mit zweckmässigem Umfang in diesem ganzen Zusammenhang."

Wie der Autor aus eigener Erfahrung weiss, bewirkten solche Zornesausbrüche der bedeutensten Jungschülerin über ketzerische Abweichungen vom Dogma des Meisters des öfteren, dass die kreative Anima der betroffenen Männer zu einer Meisterleistung angespornt wurde. Statt sich wutentbrannt von seiner Diskussionspartnerin abzuwenden, fasste auch Pauli solche hitzigen Diskussionen offenbar als eine Art intellektuellen Wettstreit in einer Talmudschule auf, was ihn bewogen haben dürfte, die Okkupationsidee noch einmal gründlich zu überdenken.

Zweieinhalb Monate nach der Konfrontation mit Marie-Louise von Franz und mit seinem Machtschatten hat Pauli das Problem der "geeigneten Definition von Begriffen mit zweckmässigem Umfang" gelöst. Er schreibt in einem Brief vom 30.10.53 [1667] an sie, er habe nun "keinen Grund mehr anzunehmen, dass die Psychologie je in einer noch so allgemeinen Physik wird aufgehen können", und er stellt fest: "Der Totalitätsanspruch einer Seite ist ohnehin verdächtig." Er sieht nun die Tendenz seiner physikalisch-symbolischen Träume in einer "Assimilation alles dessen an die Physik, was ... 'psychoider Archetypus' genannt wird. Mit anderen Worten: Parapsychologie und Biologie sollen in eine erweiterte Physik aufgenommen werden."

Die Auseinandersetzung mit Marie-Louise von Franz hatte letztlich also dazu geführt, dass Pauli diese Okkupationsgelüste gegenüber Jungs Psychologie aufzugeben bereit war und daher die unbewussten Ansprüche seines Machtschattens in eine bewusste Erkenntnis umwandeln konnte. Meines Erachtens macht eben diese Fähigkeit Pauli zu einem der grössten und ethisch verantwortungsvollsten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Es wäre erfreulich, wenn die Wissenschaftler-Generation des beginnenden 21. Jahrhunderts sich auf diese Leistung Paulis besinnen und sich ebenfalls fragen würde, wie sie mit Hilfe des "Bebrütens" ihrer Träume mit Hilfe imaginativer Techniken ihren Machtkomplex depotenzieren und daraus wahre, von bewussten Vorurteilen möglichst unbeeinflusste Erkenntnis gewinnen könnte. Eben eine solche vorurteilslose Einstellung wäre für die Überwindung der heutigen Allmachtsphantasien der Naturwissenschaftler bitter nötig, die ihrerseits die notwendige Bedingung für die Anerkennung und die weitere Erforschung des UFO-Phänomens darstellt. Denn erst die Einsicht unserer eigenen Machtlosigkeit gegenüber diesen Phänomenen bildet die Voraussetzung dafür, den Zusammenhang derselben mit Vorgängen in den tiefsten Tiefen des kollektiven Unbewussten zu verstehen.

 

 

3. Die Parapsychologie, der psychoide Archetypus und die psychisch erlebte Relativierung der Raumzeit

 

3.1 Die Definition des psychoiden Archetypus

Die obige Folgerung Paulis ist für den Leser wahrscheinlich nicht unmittelbar nachvollziehbar. Wir wollen daher den darin verwendeten Terminus "psychoider Archetypus", und dessen Zusammenhang mit der Parapsychologie kurz erklären. Zugleich werden wir sehen, dass dieser psychoide Archetypus unmittelbar mit einer psychisch erlebten Relativierung der Raumzeit zusammenhängt.

Wie Pauli schon einige Jahre zuvor aufgefallen war, hatte Jung den Terminus "Archetypus" ausgeweitet. Während dieser Begriff ursprünglich eine rein psychische Angelegenheit darstellte - allerdings auf den Hintergrund der kollektiven Psyche bezogen - , schlug Jung im Jahr 1946 vor, ihn (für die Erklärung gewisser Phänomene, die er später Synchronizität nannte; s.u.) durch den so genannten psychoiden Archetypus, der Psyche und Materie, Innen und Aussen umfassen soll, zu ergänzen.

Um den Unterschied zu seinem bisherigen Begriff des Archetypus zu erklären, greift Jung dort auf das Bild des physikalischen Lichtspektrums zurück. An dessen ultraviolettem Ende befände sich gemäss diesem der geistige Aspekt (d.h. der Archetypus im engeren Sinn, wie vor dem Jahr 1946 definiert), am infraroten Ende jedoch der instinktive oder triebhafte Aspekt des psychoiden Archetypus.

Da dieser Begriff des Psychoiden in unserer Argumentation eine zentrale Rolle spielen wird, soll er hier noch etwas genauer spezifiziert werden. Als psychoid definiert Jung in der selben Schrift "keine eigentlich psychische, respektive seelische Qualität..., sondern eine seelenähnliche, wie sie die reflektorischen Vorgänge besitzen", um sie derart von den eigentlich seelischen Vorgängen abzugrenzen. Später verbindet Jung die psychoiden nicht nur mit den reflektorischen Prozesse des ZNS, sondern auch mit dem vegetativen Nervensystem:

"So gut nämlich der Mensch einen Körper hat, der sich im Prinzip vom Tierleib nicht unterscheidet, so hat auch seine Psychologie gewissermassen untere Stockwerke... zu allertiefst die transzendente Unbegreiflichkeit und Paradoxie der sympathischen und parasympathischen psychoiden Vorgänge".

Diese Zuordnung zum reflektorischen und vegetativen Nervensystem zeigt, dass Jung den psychoiden Archetypus von seinem bisherigen, rein geistig-psychischen Archetypusbegriff abgrenzen möchte. Psychoid sind also seelenähnliche Vorgänge, die ihrerseits infolge ihrer Beziehung zum reflektorischen ZNS mt dem menschlichen Triebsystem verbunden sind. Im obigen Bild vom Lichtspektrum würde das psychoide Unbewusste also im infraroten Bereich liegen und an das Rot des sichtbaren Spektrums angrenzen. Dieses "'Psychisch-Infrarote', das heisst die biologische Triebseele", geht zudem gemäss Jungs Vorstellung "allmählich in die physiologischen Lebensvorgänge und damit in das System chemischer und physikalischer Bedingungen" über. Daher bildet der physiologische Trieb "mit seiner psychoiden Natur die Brücke zum Stoffe überhaupt".

 

3.2 Die Parapsychologie, die psychisch erlebte Relativierung der Raumzeit und die "Synchronicity Quest"

Aus tiefenpsychologischer Sicht können mit der Hypothese des psychoiden Archetypus parapsychologische Phänomene auf eine neue Art und Weise beschrieben werden. Da letztere immer eine Wechselwirkung zwischen Innen und Aussen darstellen, muss ihnen der psychoide Archetypus zugrunde liegen.

Es soll nun weiter gezeigt werden, dass der psychoide Archetypus seinerseits stets mit einer psychisch relativen Raumzeit verbunden ist. In Bezug auf die Telepathie ist der Nachweis der psychischen Relativität der Raumzeit leicht. In der räumlichen Telepathie verhält sich nämlich der Raum, wie wenn er sich auf einen Punkt zusammenziehen würde, d.h. nicht existent wäre, in der zeitlichen Telepathie (Präkognition) wird die Zeit derart gedehnt, dass zeitlich unter Umständen weit auseinander liegende Ereignisse im Bewusstsein als gleichzeitig gesehen werden.

Eine solche, meist unbewusste Relativierung von Raum und Zeit steht nun auch hinter dem von Jung definierten Synchronizitätserlebnis. Dieses besteht darin, dass relativ gleichzeitig und "gleichörtlich" innere (Träume, Visionen, usw.) und äussere Phänomene geschehen, deren Sinnähnlichkeit einem sofort auffällt. Es lässt sich nun im empirischen Selbstversuch leicht nachweisen, dass die Anzahl synchronistischer Ereignisse wesentlich erhöht werden kann, wenn das intellektuelle Bewusstsein sich in ein so genanntes "abaissement du niveau mental" (Pierre Janet) fallen lässt. In diesem werden aber Raum und Zeit insofern ganz bewusst "zufällig", als eine Aktivität nicht aufgrund eines Willensaktes sondern erst unternommen wird, wenn von innen her ein "Auftrag" erfolgt. Ich nenne eine solche bewusste Haltung "Synchronicity Quest".

Ein solches Synchronizitätserlebnis setzt voraus, dass im eigenen Inneren eine Instanz existiert, die genau "weiss", wann der "richtige" Zeitpunkt da ist und wo der "richtige" Ort für das Erlebnis der Synchronizität sich befindet. Da sowohl Ort als auch Zeitpunkt der beiden Ereignisse für unser Bewusstsein relativ voneinander entfernt sind - man bewegt sich einige Zeit nach einem Traum an einen "zufälligen", aber entfernten Ort - , muss diese innere Instanz daher über ein Wissen über "gleichartige" oder sinnähnliche Vorgänge zwischen distanten Orten und Zeiten verfügen. Mit anderen Worten: für diese innere Instanz sind Raum und Zeit relativ flexibel.

Für die Psychokinese ist dieser Nachweis einer psychisch relativen Raumzeit weniger einfach. Er setzt gewisse tiefenpsychologische Begriffe voraus, die wir erst im Lauf dieser Arbeit kennen lernen werden. Daher wollen wir ihn auf später verschieben und ihn an dieser Stelle einfach einmal hypothetisch voraussetzen.

 

 

4. Die Vereinigung von Physik und Parapsychologie und die Oszillations- und Spektrumssymbolik in Paulis Träumen

 

Kehren wir nun zum Brief [1667] an Marie-Louise von Franz zurück. Pauli führt darin weiter aus, dass "die physikalische Symbolik meiner Träume ... immer mit Spektren (bzw. Spektrallinien) und Massen zu tun" [habe]. Dann verweist er auf den oben bereits erwähnten Artikel Jungs Der Geist der Psychologie im Eranos-Jahrbuch des Jahres 1946. Seiner Meinung nach gehört die Spektralsymbolik, die einen wesentlichen Teil seiner physikalisch-symbolischen Träume ausmacht, zu dem von Jung in diesem Artikel verwendeten Bild des psychoiden Archetypus.

Anschliessend sagt Pauli, dass Jung den Begriff der Masse an der obigen Stelle (GW 8, § 441) auf die Psyche angewendet habe. Tatsächlich kommt Jung im Zusammenhang mit dem physikalischen Begriff der Masse auf jenen der Energie und über einen Analogieschluss zur objektivpsychischen Energie zu sprechen. Diese letztere besitze einerseits wahrscheinlich eine Relation mit den physiologischen Vorgängen (Triebsphäre; RFR), andererseits sei sie über das (introvertierte; RFR.) Gefühl messbar. Eben diese Gefühlsfunktion vertrete in der Psychologie die Stelle des Messens in der Physik.

Pauli beschliesst seine Überlegungen über den Zusammenhang von Physik und Parapsychologie mit der Feststellung, dass es eben die beiden physikalischen Phänomene des Spektrums und der Masse seien, die nach der Zahl verlangten, und eben diese Zahl sei für die psychoiden Archetypen charakteristisch [RFR: weil beide sowohl einen quantiativ-materiellen als auch einen qualitativ-symbolischen, d.h. psychischen Aspekt besitzen]. Die physikalisch-symbolischen Aussagen in seinen Träumen bedeuteten daher "die Annahme einer objektiven Notwendigkeit, die Physik so auszudehnen, bis sie Biologie und Parapsychologie umfasst."

Zur Begründung einer Vereinigung von Physik und Parapsychologie dient Pauli also vor allem die Spektrumssymbolik seiner Träume, die wiederum sofort an die Oszillationssymbolik und an die vorgängige Wespenphobie der frühen Dreissigerjahre erinnert. Wie wir oben gesehen haben, befindet sich auch diese Wespenphobie schon in einem Zusammenhang mit der Parapsychologie und dem Phänomen der Auflösung von Raum und Zeit. Dieser Zusammenhang ist also nicht (sinnlos) zufällig, sondern wir können hypothetisch schliessen, dass diese Oszillations-, Spektrums- und Rhythmussymbolik, die Pauli ein Leben lang verfolgt hatte, tatsächlich in einem sinnvollen Zusammenhang mit parapsychologischen Ereignissen gesehen werden muss, deren Grundlage das bewusste Erleben des psychoiden Archetypus und damit des Phänomens der psychisch erlebbaren Relativierung oder Auflösung von Raum und Zeit darstellt. Dieses Erleben bedingt eine ganz bestimmte Wandlung des Bewusstseins, auf die wir weiter unten eingehen werden.

Die weitere Forschung müsste m.E. also die einen ganz wesentlichen Platz in Paulis Träumen und Visionen einnehmende Oszillations-, Spektrums- und Rhythmussymbolik in einen Zusammenhang mit dem psychoiden Archetypus und den diesem inhärenten Phänomen der psychischen Relativierung von Raum und Zeit bringen (vgl. dazu Radioaktivität und Synchronizität im Pauli/Jung-Briefwechel), um das Werk Wolfgang Paulis und C.G. Jungs weiter zu führen und eine Wissenschaft zu begründen, die tatsächlich die Physik mit der Parapsychologie vereinigen wird.

Doch erst für Wenige zeichnet sich diese neuartige Wissenschaft als Silberstreifen am fernen Horizont ab. Schon die Folgerungen Paulis scheinen zu revolutionär gewesen und zu früh formuliert worden zu sein, weshalb sie bis heute von der wissenschaftlichen Forschergemeinde kaum beachtet, geschweige denn weitergeführt wurden.


Vgl. auch die weiteren Artikel in

http://www.psychovision.ch/synw/synfrsch.htm   

 Homepage Remo F. Roth 

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