Das Prinzip der
Synchronizität spielt in
der Tiefenpsychologie C.G. Jungs eine grosse Rolle. Es beschreibt
einen Typus des Geschehens, welcher von den meisten Menschen heute
nicht mehr beobachtet werden kann. Dies deshalb, weil sie sich
völlig nach aussen orientieren und ihrer Innenwelt keine
Beachtung mehr schenken. Wenn man sich jedoch angewöhnt hat,
seine Träume mehr oder weniger regelmässig zu beobachten,
wird man mit der Zeit feststellen, dass sich des öfteren nach
einem beeindruckenden Traum in der Aussenwelt sinnähnliche
Geschehnisse ereignen. Ein kausales Bewusstsein, welches in den
Kategorien von Ursache und Wirkung denkt, wird bei solchen
Ereignissen sehr schnell in das im Mittelalter übliche magische
Denken fallen und beispielsweise sagen, dass der Traum das
äussere Ereignis bewirkt habe. Da wir bis heute keine Energie
und keinen Mechanismus kennen, der solche Wirkungen in der Aussenwelt
verursachen könnte, nannte Jung diese Art der Regression in eine
mittelalterliche Denkanschauung ein magisch-kausales Denken und
lehnte es als unwissenschaftlich ab.
Statt die beiden Ereignisse durch
eine magische Kausalität zu verbinden, schlug C.G. Jung vor, den
Traum, d.h. das innere Ereignis und das relativ gleichzeitig
stattfindende äussere Ereignis durch deren gemeinsamen Sinn zu
verbinden. Dies erläutert er mit Hilfe seiner berühmten
Skarabäus-Synchronizität (Ges. Werke, Bd. 8, § 843):
"Eine junge Patientin hatte in
einem entscheidenden Moment ihrer Behandlung einen Traum, in welchem
sie einen goldenen Skarabäus zum Geschenk erhielt. Ich sass,
während sie mir den Traum erzählte, mit dem Rücken
gegen das geschlossene Fenster. Plötzlich hörte ich hinter
mir ein Geräusch, wie wenn etwas leise gegen das Fenster
klopfte. Ich drehte mich um und sah, dass ein fliegendes Insekt von
aussen gegen das Fenster stiess. Ich öffnete das Fenster und
fing das Tier im Fluge. Es war die nöchste Analogie zu einem
goldenen Skarabäus, welche unsere Breiten aufzubringen
vermochten, nämlich ein Scarabaeide
(Blatthornkäfer), Cetonia aurata, der 'gemeine
Rosenkäfer', der sich offenbar veranlasst gefühlt hatte,
entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten in ein dunkles Zimmer gerade
in diesem Moment einzudringen."
Und dann weiter (§
845):
[Es handelte sich in diesem Fall] "um eine
ungewöhnlich schwierige Behandlung, die bis zu dem
erwähnten Traum so gut wie gar nicht vom Flecke gekommen war.
Der Hauptgrund hiefür war, wie ich zum Verständnis der
Situation erwähnen muss, der in cartesianischer Philosophie
erzogene Animus [die geistig-männliche Seite der Frau, mit
der diese Pat. sich identifizierte; RFR] meiner Patientin,
welcher an seinem starren Wirklichkeitsbegriff dermassen festhielt,
dass ihn selbst die Bemühungen von drei Ärzten (ich war
nämlich der dritte) nicht zu erweichen vermocht hatten. Dazu
brauchte es offenbar schon ein irrationales Ereignis, das ich aber
selbstverständlich nicht produzieren konnte. Schon durch den
Traum allein war die rationalistische Einstellung meiner Patientin
leise erschüttert. Als aber gar noch der Skarabäus in
Wirklichkeit geflogen kam, da konnte ihr natürliches Wesen den
Panzer der Animusbesessenheit durchbrechen, womit auch der die
Behandlung begleitende Wandlungsprozess zum erstenmal richtig in
Fluss kam. Wesentliche Einstellungsänderungen bedeuten
psychische Erneuerungen, die fast in der Regel durch
Wiedergeburtssymbole in Träumen und Phantasien begleitet sind.
Der Skarabäus ist ein klassisches Wiedergeburtssymbol. Nach der
Schilderung des altägyptischen Buches Am-Tuat verwandelt
sich der tote Sonnengott an der zehnten Station in Kheperâ, den
Skarabäus, und als solcher besteigt er an der zwölften
Station die Barke, welche die verjüngte Sonne am Morgenhimmel
emporführt."
Statt also zu sagen, Jung oder
sonst jemand habe den Rosenkäfer hergezaubert, versucht man den
die beiden Ereignisse verbindenden Sinn zu ergründen. In diesem
Fall ist dies der Skarabäus, welcher symbolisch gesprochen
"Wiedergeburt" bedeutet. Sein während des Erzählens des
Traumes im Aussen erscheinender "Doppelgänger" erschütterte
die Patientin. Letztlich war es dann dieses tiefe emotionale
Erlebnis, welches ihr Bewusstsein für das Irrationale des Lebens
öffnete. Wie Jung betont, bedeuten solche Wandlungen eine
eigentliche Wiedergeburt des Bewusstseins, welches derart wieder an
den individuellen Sinn seines Lebens angeschlossen wird.
Doch, wie gesagt, nehmen sich die
wenigsten Menschen die Mühe, ihre Träume zu erinnern und
aufzuschreiben. Das "absolute Wissen" des Unbewussten hat derart
keine Gelegenheit Synchronizitäten, d.h. sinnvolle
Übereinstimmungen zwischen innen und aussen, zu produzieren,
wenn eine Wandlung der bewussten Einstellung notwendig wäre. Das
Synchronizitätsphänomen zeigt uns aber, dass Innen und
Aussen in einer geheimnisvollen Art und Weise verbunden sind. Die
nicht erinnerten Warnträume konkretisieren sich daher im Aussen:
Unfälle häufen sich, psychische, somatische und
psychosomatische Krankheiten stellen sich ein, Beziehungen brechen
auseinander. Der Mensch wird in ein tiefstes Leiden verstrickt,
welches nicht selten im vorzeitigen Tod oder Suizid endet.
Im individuellen Fall zeigt sich
also meist, dass der Anerkennung des Synchronizitätsprinzips ein
tiefes Leiden vorausgeht. Da der heutige Mensch sich mit dem Prinzip
der Kausalität identifiziert, glaubt er auch an die Machbarkeit
der Dinge mit Hilfe des bewussten Willens. Dies führt dann dazu,
dass er sich dem "Gegenwillen Gottes", der sich in den
Synchronizitätsphänomenen äussert, entgegenstellt. Da
diese letzteren nicht bewusst wahrgenommen und das individuelle Leben
nicht entsprechend der darin enthaltenen Botschaften geändert
wird, wandelt sich deren latenter Sinn in einen destruktiven
Unsinn.
Auch das menschliche Kollektiv
befindet sich in derselben Gefahr. Die unbewusste Vergottung des
Menschen durch die kausale Naturwissenschaft (Atombombe,
Gentechnologie, Umweltverschmutzung, Überbevölkerung, usw.)
hat uns in die heute drohende Gefahr des apokalyptischen Genozids
geführt. Eine Umkehr ist nur möglich, wenn möglichst
viele Menschen sich auf den Weg des "synchronistischen Lebens" (synchronicity
quest) begeben werden. Dieses bedeutet die introvertierte Art und Weise, der
letztlich alles Leben tötenden Naturwissenschaft ein
negentropisches Prinzip entgegenzusetzen, welches im Stillen eine
neue Ordnung in dieser Welt aufbauen wird. Mir persönlich
scheint daher diese Wandlung zum synchronistischen Bewusstsein die
letzte Möglichkeit der Bewahrung der Menschheit vor der
apokalyptischen Katastrophe.