Remo F. Roth

Dr. oec. publ., Ph.D.

dipl. analyt. Psychologe (M.-L. v. Franz)

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Rote Tinktur

 

Das Radbild des Niklaus von Flüe

als Symbol des Aufbaus des Hauchkörpers

(subtle body)

 

Skizzen einer zwanzigjährigen Forschungsarbeit

 


Marie-Louise von Franz

zum 82. Geburtstag am 4. Januar 1997

gewidmet


1. Einführung

2. Die Vision vom erschreckenden Gottesantlitz und das Radbild

3. Das Siegel Salomos und der Pelikan der Alchemie

4. Die Energietransformation innerhalb des Radbildes

5. Das Radbild und der Aufbau des Hauchkörpers (subtle body) im Tantrismus

6. »Was die Welt im Innersten zusammenhält«


 

1. Einführung

Marie-Louise von Franz zeigt in ihrem wegweisenden Buch Die Visionen des Niklaus von Flüe(1), dass der in der mittelalterlichen Schweiz verwurzelte Bauer, Politiker und Soldat »unter den Heiligen der katholischen Kirche eine ganz einzigartige und ungemein originelle Erscheinung«(2) darstellt. Die Abgeschiedenheit in den Schweizer Bergen trug wesentlich dazu bei, dass seine Visionen lange Zeit dem höheren Klerus verborgen blieben und daher nicht, wie jene der meisten in Klöster lebenden Mystikerinnern und Mystiker, von Beichtvätern und Vorgesetzten gereinigt wurden. Da die Visionen dieses aussergewöhnlichen christlichen Mystikers derart »den Stempel unkonventioneller Echtheit«(3) tragen, gelingt Marie-Louise von Franz der folgenschwere Nachweis, dass in ihnen die hinter dem Christentum latent vorhandene heidnische Welt der germanischen Mythologie hervorbricht. Die Amplifikation der Visionsmotive zeigt dann das überraschende Resultat, dass in Niklaus von Flüe schon vor 500 Jahren der germanische Gott Wotan und mit ihm das Synchronizitätsprinzip konstelliert waren.

Auch C.G. Jung hat sich in einem kurzen Artikel mit dem Schweizer Heiligen beschäftigt(4). Er meint, dass Niklaus von Flüe, »der einzige hervorragende schweizerische Mystiker von Gottes Gnaden, unorthodoxe Urvisionen hatte und unbeirrten Auges in die Tiefen jener göttlichen Seele blicken durfte, welche alle, durch Dogmatik getrennten Konfessionen der Menschheit noch in einem symbolischen Archetypus vereinigt enthält«(5).

In den folgenden Ausführungen werde ich skizzieren, wie dieser »eine Archetypus«, der allen Religionen unserer Welt zugrunde zu liegen scheint, symbolisch gesehen durch das Radbild des Niklaus von Flüe (vgl. Abb. 1) dargestellt wird. Dieses Radbild entspricht religionspsychologisch gesehen einem erneuerten Gottesbild, in welchem die durch den Menschen erlöste Weltseele - die objektive Psyche oder das kollektive Unbewusste C.G. Jungs - und mit ihr das Synchronizitätsprinzip an die Stelle des christlichen Gottes treten. Die innere, mikrokosmische Befreiung und Erlösung der göttlichen Weltseele aus der Materie erlebt der empirische Mensch im Prozess der introvertierten Transformation der triebhaften Energie, welche dem Aufbau des deifizierten Hauchkörpers für das Leben nach dem Tod dient.

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Abb.1: Das Radbild des Niklaus von Flüe

 

 

2. Die Vision vom erschreckenden Gottesantlitz und das Radbild

Niklaus von Flüe wurde im Jahr 1417 in Sachseln (in der Nähe von Luzern) geboren und starb siebzigjährig im Jahr 1487. Er soll schon im Mutterleib Visionen gehabt haben. Diese Visionsserie setzte sich während seines irdischen Lebens fort und schliesst mit der sogenannten Vision vom erschreckenden Gottesantlitz (vgl. Abb. 2). Diese letzte uns bekannte Vision überfiel Niklaus von Flüe ungefähr zehn Jahre vor seinem Tod. Gemäss dem Bericht des Humanisten Bovillus trug es einen »fürchterlichen, von Zorn und Drohung erfüllten Ausdruck«(6) und wurde daher schon früh mit dem Christus der Apokalypse I, 13 in Verbindung gebracht(7). Es trägt oben eine dreifache Krone und unten einen dreifach geteilten Bart. Ebenso erschreckend wie der Gesichtsausdruck scheinen sechs »Schwertklingen ohne Handgriff« zu sein, welche abwechselnd in dieses Gesicht ein- und ausgehen: Eine dieser Klingen geht aus der Stirn hervor und richtet sich nach oben, zwei weitere stechen in die Augen (und Ohren?), die nächsten zwei gehen aus der Nase hervor und die letzte durchsticht den Mund(8).

 

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Abb. 2: Die Vision vom erschreckenden Gottesantlitz

 

Wie schon C.G. Jung gesehen hat(9), ist diese Vision völlig undogmatisch, ja sogar häretisch, denn der Gott der Christen konnte und kann nur gut sein, da ihm der triebhafte Aspekt, der Jahwe noch auszeichnet, von den Kirchenvätern wegdefiniert wurde.

Wie ich in meinem Buch Die Gottsucher(10) gezeigt habe, bezieht sich der häretische Charakter dieser Vision jedoch nicht nur auf das summum bonum, sondern auch auf die eindeutig doppeltriadische Struktur der Schwertklingen, die noch betont wird durch die Doppeldrei von Krone und Bart, von Oben und Unten!

Inhalte des kollektiven Unbewussten brechen in einer derart erschreckenden Art und Weise in das Bewusstsein nur ein, wenn dieses einen wichtigen Wandlungsaspekt noch nicht begriffen hat. Psychologisch gesehen müssen wir an dieser Stelle daher schliessen, dass Niklaus offensichtlich einen wesentlichen Inhalt, nämlich das eigentliche Wesen des doppeltrinitarischen Aspektes des in ihm konstellierten erneuerten Gottesbildes, welches in der früheren Vision von der Lilie, die vom Pferd gefressen wurde schon aufgetaucht war, noch nicht verstanden hat. Wir wissen denn auch, dass er versuchte, die Doppeltrinität in die Trinität der Kirchenväter umzudeuten(11). Wie C.G. Jung betont(12), blieb ihm auch nichts anderes übrig, denn sonst wäre er als Häretiker angesehen und entsprechend behandelt worden. Mir persönlich scheint jedoch, dass Niklaus von Flüe über die Bedeutung seines Radbildes viel mehr gewusst hat, als er preisgab. Die Ahnung, dass er der Inquisition in die Hände fallen könnte, erklärt vielleicht, warum er sich über diese Vision weit mehr in Schweigen gehüllt hat, als über die anderen Erscheinungen(13). Sein Schweigen nötigt uns daher, das im Symbol des Radbildes implizit vorhandene Wissen über das erneuerte Gottesbild mit Hilfe der Amplifikationsmethode C.G. Jungs zu extrahieren.

Die drei nach innen gerichteten Schwertklingen durchstechen den Mund und die Augen, vielleicht auch die Ohren des Gottesantlitzes. Psychologisch gesehen bedeutet diese Zerstörung der Sinnesorgane Gottes (!), dass das vor bewusste Wissen des kollektiven Unbewussten Niklaus zeigen will, dass sich in ihm das christlich-dogmatische Gottesbild gewandelt und erneuert hat: Da die nach aussen gerichteten Sinnesorgane des Zentralnervensystems zerstört sind, ist der erneuerte Gott offensichtlich nur über das nach innen gerichtete vegetative Nervensystem erfahrbar. Die Zerstörung der Sinnesorgane soll Niklaus andererseits aber auch zeigen, dass er in seinen letzten Lebensjahren eine Phase der tiefsten Introversion leben muss.

Niklaus von Flüe verarbeitet diese Vision des erschreckenden Gottesantlitzes zu seinem berühmten Radbild(14) (vgl. Abb. 1). Vergleicht man die ursprüngliche Vision mit diesem Radbild(15), fällt als erstes auf, dass im Schweizer Nationalheiligen eine ausgesprochene Tendenz bestanden zu haben scheint, mit Hilfe des Radbildes vom menschenähnlich gedachten göttlichen Antlitz zu abstrahieren und den als anthropomorph (menschenähnlich) gedachten christlichen Gott durch ein Konzept der Energietransformation zu ersetzen. Das Symbol des Rades eignet sich wie kein anderes dazu, da dessen tiefste Symbolik eben in dieser Energietransformation liegen dürfte. Bereits hier zeigt sich offensichtlich, dass im Unbewussten des Niklaus ein erneuertes Gottesbild konstelliert ist, dessen wesentlichste Inhalte die Struktur einer Doppeltrinität und eine darin stattfindende Energietransformation darstellen.

Eben dieses von aller Menschenähnlichkeit abstrahierende energetische Gottesbild war aber, wie ich in meinem schon erwähnten Buch Die Gottsucher hergeleitet habe, auch in den christlichen Alchemisten und im hinduistischen und buddhistischen Tantrismus konstelliert. Ich habe dort weiter gezeigt, dass diese erneuerte Gottheit, welche letztlich dem mittelalterlichen Begriff der Weltseele entspricht und eine Kompensation zum trinitarischen Gott der Kirchenväter darstellt, ungefähr 450 Jahre nach Niklaus in der Symbolik der Quantenphysik, als sogenanntes Quark-Antiquark-Sextett wieder auftaucht (vgl. dazu unten). Da diese die Grundlage der Atombombe und der Atomkraftwerke bildet, entpuppt sich die Problematik des mittelalterichen Mystikers somit also als eine äusserst aktuelle.

Niklaus von Flüe bezeichnet die »Schwertklingen« der Originalvision in seinem Radbild als »Speichen«. Orientiert man sich mehr am Bild als am Wort, so sieht man, dass er keine Speichen und auch keine Schwerter, sondern ausgesprochene Lanzenspitzen (oder Schwertspitzen) gezeichnet hat. Aus dieser Tatsache der je drei entgegengesetzten Lanzenspitzen wird unmittelbar klar, dass Niklaus im Radbild, einem unbewussten Drang folgend, den doppeltriadischen Aspekt der Zahl Sechs betont. Durch die Betonung der Gegensätzlichkeit der beiden Triaden hat er sich unbewusst aber endgültig vom Bild der christlichen Trinität gelöst und diese in eine Doppeltrinität erweitert. Struktural betrachtet entspricht diese natürlich dem Siegel Salomos, dem Wahrzeichen der Alchemie (vgl. Abb. 3B), sowie auch dem zentralen Symbol des Herz-Chakras des Tantrismus (s. unten).

 

 

3. Das Siegel Salomos und der Pelikan der Alchemie

Das Siegel Salomos (Davidstern) symbolisiert das Ziel des alchemistischen Opus(16). Dieses letztere bestand darin, das rein männliche, trinitarische Gottesbild des Christentums - dargestellt durch das mit der Spitze nach oben gerichtete gleichseitige Dreieck - zu wandeln. Die Alchemisten spürten, dass die Definition eines ewig gleichbleibenden Gottes durch die Kirchenväter nicht der Weisheit letzter Schluss sein konnte. Sie ahnten, dass im Laufe des christlichen Zeitalters im Unbewussten eine Wandlung dieses Gottesbildes eingesetzt hatte. Daher kamen sie zu dem äusserst häretischen Schluss, dass der Gott der Christen altert, krank wird, stirbt und in die Materie, in den menschlichen Körper oder in dessen Triebsphäre versinkt. Dieser Gottestod schuf eine Situation, in welcher jeder einzelne Mensch an einer Erlösung dieser in der Materie versunkenen Gottheit teilhaben musste.

Seit Paracelsus wurde diese zu erlösende, zu transformierende oder zu veredelnde prima materia ebenso trinitarisch vorgestellt, wie die christliche Gottheit. Zudem entpuppte sie sich als ein weiblich-göttliches Prinzip, welches in der Erde, in der Materie oder in der Triebhaftigkeit des menschlichen Körpers ihrer Befreiung harrte. Diese sehnsüchtig auf die Erlösung durch den Menschen wartende Weltseele wurde durch das mit der Spitze nach unten gerichtete gleichseitige Dreieck, eine Abstraktion des weiblichen Beckens, dargestellt. Eine tiefen- und triebpsychologische Deutung dieser paracelsischen Antitrinität zeigt, dass es sich dabei um die Prinzipien der Aggression, der Exploration und der Sexualität handelt (Näheres siehe in Die Gottsucher).

Als Folge der Befreiung und Erlösung dieses weiblich-göttlichen trinitarischen Prinzips aus dem menschlichen Körper hätte sich auch das männlich-göttliche Prinzip in eine neue Trinität wandeln sollen, was die Definition eines erneuerten oberen Gottesbildes bedeutet hätte. Im Prozess der coniunctio (Vereinigung der gegengeschlechtlichen Götter) hätte sich derart das erneuerte obere Gottesbild mit dem erlösten unteren vereinigen können. Diese Vereinigung, welche der erlösten Weltseele entspricht, wurde durch das Symbol des Siegels Salomos ausgedrückt.

Die Wandlung des oberen Gottesbildes hätte bedeutet, dass die rein männliche christliche Trinität durch eine solche der drei Prinzipien des Logos, der Meditation und des Eros hätte ersetzt werden müssen (vgl. Abb. 3B). Da die Alchemisten in ihrem Bewusstsein jedoch an der christlichen Trinität festhielten, blieben sie in einem religionspsychologischen Konfikt zwischen der triebhaften unteren und der christlichen oberen Trinität stecken (vgl. Abb. 3A). Da sie derart auch das weibliche Prinzips des Eros aus ihrem männlichen Gottesbild ausschlossen, konnten sie folgerichtig die Triebenergie nur in die beiden Prinzipien des Logos und der Meditation transformieren.

 

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Abb.3: Der Konflikt der christlichen Alchemisten und dessen Lösung

 

Durch die Hinausverlegung der psychischen Energie in die Extraversion nach der Zeit der Entdeckung Amerikas verschwand schliesslich auch das Interesse an der Meditation, so dass der Logos als alleiniges Prinzip übrig blieb.

Einzig der Paracelsusschüler Gerhard Dorn (Dorneus) ahnte, dass auch dieses zutiefst weibliche Prinzip in die erneuerte obere Trinität hätte aufgenommen werden müssen. Er schlägt eine Fortsetzung des alchemistischen Opus vor, welches mit der sogenannten unio mentalis(17) beginnen soll. C.G. Jungs Aktive Imagination stellt eine moderne Form dieser unio mentalis dar (s. dazu GW 14/II, § 265 und § 366).

Diese stellt eine Vereinigung von Geist und Psyche, modern ausgedrückt: von Logos und Eros, dar. Um diese Vereinigung zu erreichen, muss der Körper vorerst aber »abgetötet« oder »mumifiziert« werden. In unserer psychologischen Sprache würden wir diesen Sachverhalt folgendermassen ausdrücken: Der von der Triebhaftigkeit und Getriebenheit bewegte Körper muss in einem bewussten Akt stillgelegt werden - eine Forderung, die jeder ernsthaften Art der Meditation und Imagination zugrundeliegt. C.G. Jung hat mit seiner Methode der Aktiven Imagination eine moderne Variante der Dornschen unio mentalis gefunden(17a).

In einer zweiten Stufe des Dornschen Opus, in der sogenannten unio corporalis, soll dann die Vereinigung dieser unio mentalis mit dem vorher »abgetöteten« Körper erreicht werden. Als Folge dieser Prozedur wird der tote Körper wiederbelebt, und es findet ein sogenannter Austausch der Attribute statt: Der Körper wird psychisch, die Geist-Psyche wird materiell. Eine moderne Umsetzung dieser Idee der unio corporalis des Arztes Gerhard Dorn (Dorneus) stellt die von mir inaugurierte Körperzentrierte Imagination oder Symptom-Symbol-Transformation zur Behandlung somatischer Krankheiten dar (17b).

Dieser Prozess des Austauschs der Attribute wird auch im Symbol des alchemistischen Pelikans dargestellt (Abb. 4). Dieses doppelbauchige Gefäss besitzt im oberen Teil zwei charakteristische Rohre, welche wieder in den unteren Teil hinunterführen. Während des Prozesses des Siedens und Verdampfens einer Flüssigkeit wurde dieser Pelikan dicht verschlossen, so dass der Dampf wieder in die Flüssigkeit hinuntergeleitet und derart kondensiert wurde. Auf diese Weise wurde die sogenannte zirkuläre oder rotierende Destillation(18) eingeleitet, und sie war natürlich nur von Erfolg gekrönt, wenn der Pelikan dicht verschlossen blieb. Nach der Vorstellung der Alchemisten bewirkte diese Prozedur, dass das Destillat immer konzentrierter und dadurch zur Essenz der prima materia wurde, welche ihrerseits das Ziel der ganzen Prozedur darstellte.

Der im Pelikan dargestellte Prozess entspricht aber auch der Konkretisierung des alchemistischen Wahlspruches: »Mach das Feste flüchtig und das Flüchtige fest«(19). Dieser Austausch der Attribute bedeutet in einer modernen psychologischen Sprache das von C.G. Jung entdeckte Phänomen der Synchronizität, das relativ gleichzeitige Auftreten von sinnähnlichen inneren und äusseren Ereignissen. In ihr findet eine Psychifizierung der Materie und eine relativ gleichzeitige Rematerialisierung der Psyche statt, da »sich die Psyche (benimmt), als ob sie materiell wäre, oder die Materie, als ob sie zu unserer Psyche gehörte«(20). Im konstruktiven Fall führen solche Synchronizitäten in einen Schöpfungsprozess im Individuum hinein, ihre destruktive Variante ist als der sogenannte Wolfgang Pauli-Effekt in die Geschichte der Physik eingegangen.

 

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Abb. 4: Der alchemistische und der christliche Pelikan

 

Aufgrund der christlichen Pelikanlegende, in welcher der Pelikan seine Brust aufreisst (vgl. Abb. 4), um seine toten Jungen zu neuem Leben zu erwecken (Symbolik der Longinuslanze), wurde er auch dem göttlichen Herzen Christi gleichgesetzt. Da der alchemistische Pelikan andererseits eine eminent introvertierte Prozedur beschreibt (Geschlossenheit des Gefässes!), ergibt sich die Folgerung, dass das Herz, das heisst der Eros, und die Introversion unabdingbar zusammengehören.

Abstrahiert man vom konkreten Pelikan der Alchemie und fasst diesen rein symbolisch auf, so sieht man, dass dieser eine Prozedur beschreibt, die völlig introvertiert geschieht: Der moderne Alchemist setzt in sich selbst - beispielsweise mit Hilfe der von mir inaugurierten Technik der Körperzentrierten Imagination oder Symptom-Symbol-Transformation - den Prozess der Psychifizierung der Körpermaterie in Gang, zu welchem aufgrund des synchronistischen Modus dieses Geschehens ein Parallelprozess der Rematerialisierung der Psyche gehört. Dabei ist diese in einem introvertierten Schöpfungsakt durch den Menschen neu gezeugte Materie als subtil oder hauchförmig zu verstehen. Sie entspricht dem in diesem Leben für das Leben nach dem Tod aufzubauenden Hauchkörper, welcher seinerseits den mikrokosmischen Aspekt der erlösten Weltseele darstellt. Dieses nur in der tiefsten Introversion beobachtbare energetische Geschehen nenne ich zwecks Abgrenzung zu der von C.G. Jung entdeckten Aussen-Innen-Synchronizität die mikrokosmische oder innere Synchronizität. Sie entspricht dem Funktionsprinzip des introvertierten Eros und bildet das eigentliche Gegengewicht zur makrokosmischen, auf den äusseren Aspekt der Materie bezogenen Kausalität.

Der qualitative Aspekt der Zahl Drei entspricht dem Energiebegriff(21). Das Siegel Salomos beinhaltet somit einen ambivalenten Energiebegriff: Neben der physikalisch- chemischen Energie (beziehungsweise dem äusseren, physikalischen Aspekt der Materie) enthält es auch die von C.G. Jung so genannte objektivpsychische Energie (beziehungsweise die innere, mikrokosmische, »subtile« Materie), welche in der Quantenphysik als die sogenannte »negative Energie« mit ihren seltsamen Eigenschaften wiedererscheint.

Der mit der Materie laborierende Alchemist schwankte immer zwischen der makrokosmischen Prozedur der Energetisierung der Materie (Befreiung der physikalischen Energie) und der mikrokosmischen der Psychifizierung der Körpermaterie (Befreiung der objektivpsychischen Energie) hin und her. Die Betonung des Logos und der Extraversion hatte dann aber zur Folge, dass die extravertierte Prozedur im 17. Jahrhundert die Oberhand gewann, so dass die nur mit Hilfe eines introvertierten Prozesses mögliche Befreiung der objektivpsychischen Energie aus der Körpermaterie aus dem Erfahrungsbereich der Wissenschaft nach Paracelsus verschwand. Die makrokosmische Befreiung der physikalischen Energie wurde zum alleinigen Ziel der Wissenschaft, welche Entwicklung in unseren heutigen Wahn der Energetisierung der Materie hineinführte (Atombombe, verschwenderischer Umgang mit den fossilen Energieträgern, Mobilität, usw.).

Die Vernachlässigung der Introversion und des Eros hatten aber auch zur Folge, dass die beiden Hauptsymbole des alchemistischen Opus, das Siegel Salomos und der Pelikan, nicht in einem einzigen Symbol vereinigt werden konnten. Das Siegel Salomos enthält zwar die für den Austausch der Attribute notwendige doppeltriadische Struktur, das heisst die Ambivalenz des Energiebegriffs, es fehlt ihm aber eine Verbindung, welche die beiden Energien in die jeweils andersartige transformieren kann. Diese Transformation kann nur im Pelikan, das heisst im menschlichen Herzen und damit in der Introversion geschehen.

Der Pelikan, das Symbol des Herzens und der Introversion, beschreibt andererseits das Phänomen des Austausches der Attribute, das heisst, die Synchronizität, es fehlt ihm aber die dazu notwendige doppeltriadische Struktur (welche das Siegel Salomos beschreibt).

 

 

4. Die Energietransformation innerhalb des Radbildes

Kehren wir zum Radbild des Niklaus von Flüe zurück. Wie wir unmittelbar sehen, entsprechen dessen »Speichen« den »Schwertspitzen« der Originalvision. Da psychologisch gesehen sowohl »aussen« und »oben« als auch »innen« und »unten« symbolisch aequivalente Begriffe darstellen, können wir sagen, dass die zwei entgegengesetzen Lanzentriaden der Vision dem Siegel Salomos der Alchemie entsprechen.

Niklaus hat nun in der Verarbeitung der Vision zum Radbild die beiden Doppelkreise im Inneren und an der Peripherie zu dieser doppeltrinitarischen Symbolik hinzugefügt. Wir müssen uns deshalb fragen, welchen Inhalt sie ausdrücken könnten, der in der sechsten Vision vom erschreckenden Gottesantlitz nicht auftaucht, welcher aber Niklaus derart wesentlich erschien, dass er ihn, im Prozess der Verarbeitung der Originalvision zum Radbild, hinzugefügt hat.

Während seiner Vision erlebte Niklaus die sicher grösste Angst auslösende Empfindung, dass sein Herz in kleine Stücke zu zerspringen drohte(22), und er wurde davon derart überwältigt, dass er zur Erde stürzte. Diese psychosomatische Reaktion des Niklaus gibt uns einern ersten Hinweis darauf, dass sein Herz mit der Vision des erschreckenden Gottesantlitzes und damit mit dem Radbild verbunden ist.

Im sogenannten Pilgertraktat erwähnt dieser anonyme Pilger, dass Bruder Klaus ihn gelehrt habe, den inneren Kreis des Radbildes »als den klaren Spiegel des wahren lebendigen Gottes«(23) zu deuten. In der muslimischen Mystik, im Sufismus(24), bildet das Herz den »Spiegel, in dem Gott sich selber schauen kann«(25), und es stellt deshalb den Treffpunkt zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen dar(26). Diese Aussage stimmt mit der Tatsache überein, dass die Begegnungsstätte mit dem Göttlichen in der Mystik ganz allgemein dem menschlichen Herzen entspricht(27).

Im geläuterten Zustand entspricht das Herz des Sufi dem Astralleib (dem subtle body oder Hauchkörper, s.u.), der die Fähigkeit besitzt, in den Himmel aufzusteigen(28). Um diesen geläuterten Zustand zu erreichen, muss es vorerst einmal »zerbrochen« (!) werden(29) und möchte davonlaufen(30) (weil es unbewusst leidet). Doch es muss »zur Ruine«(31) werden (Niklausens Empfindung, dass sein Herz in kleine Stücke zu zerspringen droht!), womit die aussergöttlichen Einflüsse darin zerstört werden.

Die Auseinandersetzung mit der Triebhaftigkeit nennt sich das »ununterbrochene Polieren des eisernen Herzensspiegels«(32), und das Resultat dieser Tätigkeit stellt das Siegel Salomos im Herzen(33) dar. Dabei ist zu betonen, dass diese Triebhaftigkeit nicht etwa wie in der christlichen Herz-Jesu-Mystik verdrängt wird, sondern dass sich die muslimisch-sufische Mystik die Veredelung der Inhalte der Triebsphäre ausdrücklich zur Aufgabe gemacht hat(34). Schon als der Begründer des Islam, Muhammad, gefragt wurde, wie sich denn sein shaitan (Satan; hier synonym der Triebhaftigkeit) benähme, antwortete er: »Mein shaitan ist ein Muslim geworden und tut nur, was ich ihm befehle«(35). Eine eindrücklichere Schilderung der Integration des Schattens (C.G. Jung) und der Triebhaftigkeit kann man kaum mehr geben.

Man sieht aus diesen Amplifikationen, dass der Sufismus von ähnlichen archetypischen Ideen erfüllt ist, wie der christlichen Mystiker Niklaus von Flüe. Dies dürfte auch der Grund sein, warum der heutigen Jugend der Sufismus (und der Tantrismus) so nahe steht. Dass der Schweizer Nationalheilige von derselben archetypischen Wandlungssymbolik ergriffen war, dürfte ihr allerdings weniger bekannt sein. Der Prophet gilt nun einmal im eigenen Land - und vor allem in der Schweiz - nicht allzu viel!

Die Amplifikationen aus der islamischen Mystik zeigen uns aber vor allem, dass mit dem »Gottesspiegel« des Pilgertraktates, den Niklaus dem inneren Doppelkreis des Radbildes gleichsetzt, das menschliche Herz gemeint ist. In diesem scheint offensichtlich die Transformation des christlichen Gottesbildes stattzufinden(36).

Drei der Spitzen sind auf dieses Zentrum, das heisst, auf das Herz gerichtet. womit ein dreifacher Lanzenstoss in das Herz entsteht. Da dieses Herz sowohl menschliche als auch göttliche Qualitäten besitzt, erinnert diese Symbolik sofort an das Zentralmotiv der Herz-Jesu-Mystik, an die Longinuslanze, welche das Herz des Gottmenschen Christus öffnet. Allerdings fehlt dieser offiziellen christlichen Mystik die Auseinandersetzung mit der Triebhaftigkeit. Erst die Alchemie des Paracelsus hat einen ersten Versuch zur Transformation dieser instinktiven Energien unternommen und, wie wir gesehen haben, im Pelikan das dazu geeignete Symbol gefunden.

Gemäss Niklaus bedeutet der äussere Doppelkreis des Radbildes die »sinnfälligen Dinge und ihre in uns hervorgerufenen Wirkungen«(37). Mit dieser Aussage sind natürlich die mit den fünf Sinnen wahrnehmbare Aussenwelt und ihre Einflüsse auf unsere Psyche gemeint. Wenn man diese »sinnfälligen Dinge« dem materiellen Aspekt des Kosmos ganz allgemein gleichsetzt, wird auch der menschliche Körper und dessen Triebhaftigkeit mit einbezogen. Wir erhalten also das Resultat, dass die drei nach innen gerichteten Lanzenspitzen des Radbildes offensichtlich in der Materie- oder Körpersphäre wurzeln und in das Herz stechen.

Durch die Hinzufügung der beiden Doppelkreise zur Doppeltrinität der ursprünglichen Vision ist in Niklaus ein entscheidender Fortschritt geschehen. Im Gegensatz zur Herz- Jesu-Mystik, welche die Verbindung des menschlich- göttlichen Herzens mit dem Körper und der Triebhaftigkeit leugnete, die Transformation der triebhaften Energie daher verdrängte und so in einer sentimentalen Romantik endete, gelingt Niklaus im Radbild eine Verbindung der Körper- und Triebsphäre mit dem Herzen.

Wie die Untersuchung der Symbolik des Pelikans gezeigt hat, bedeutet der Terminus »Herz« die totale Introversion und die Synchronizität. Psychologisch gesehen heisst die von Niklaus geschaffene Verbindung der Triebsphäre mit dem Herzen daher die Überleitung der triebhaften Energie in die Introversion, womit der oben beschriebene, innere synchronistische Prozess ausgelöst wird.

Damit hat der Schweizer Mystiker die notwendige Voraussetzung für die introvertierte Verarbeitung der energetischen Impulse aus der Triebtriade geschaffen. Zugleich ist er aber - bewusst oder unbewusst - zum christlichen Häretiker geworden, da er nun bereit ist, seine Triebhaftigkeit als prima materia eines Opus anzuerkennen, in welchem diese in die Quintessenz veredelt werden soll.

Gemäss der Aussage der Vision gehen von diesem Aussen, den »sinnfälligen Dingen«, aber offensichtlich auch Einflüsse aus, welche die Sinnesorgane des alten Gottesbildes zerstören. Ein erneuertes Gottesbild scheint also wesentlich mit einer Blindheit, Taubheit und Stummheit in Bezug auf das Aussen zusammenzuhängen(38), was offensichtlich bedeutet, dass die erneuerte Gottheit keine kausale Beeinflussung des Aussen, das heisst, keine auf Ursache und Wirkung beruhende Schöpfung beabsichtigt.

Die Ausschaltung der Sinnesorgane des Menschen wird psychologisch gesehen immer kompensiert durch eine Konzentration auf das »Innen der Materie«, das heisst, auf den vegetativen Körper. Das die Sinnesorgane zerstörende Aussen - die »sinnfälligen Dinge und ihre in uns hervorgerufenen Wirkungen« -, welches Niklaus durch die beiden äusseren Doppelkreise symbolisiert, bewirkt somit eine Konzentration auf das vegetative Nervensystem. Mit der Hinzufügung der äusseren Doppelkreise zur Vision vom erschreckenden Gottesantlitz ist in Niklaus von Flüe also nichts weniger als eine Vergottung des vegetativen Nervensystems geschehen - womit der Gipfel der Häresie erreicht ist.

Die vom Herzen ausgehenden Lanzenspitzen scheinen auf irgend eine Weise die körperliche Welt (die äusseren Doppelkreise des Radbildes) wieder zu berühren. Da Niklaus versuchte, die energetische Doppeltrinität des in ihm auftauchenden erneuerten Gottesbildes auf die christliche Trinität zu reduzieren, konnte er im Gegensatz zu Paracelsus, den Sufis und den Tantrikern (s.u.) noch nicht erkennen, dass die vom Herzen ausgehenden Lanzenspitzen dem Aufbau des göttlichen Hauchkörpers (subtle body), das heisst also einer subtilen Form der Körpermaterie dienen. Doch hat er diesen Transformationsprozess mit aller Gewissheit als Körpersensation erfahren. Zudem scheint er diese Zusammenhänge unbewusst geahnt zu haben, denn er verbindet diese nach aussen führenden Lanzenspitzen mit der Jungfrauengeburt Marias und mit der Hostie(39), somit also mit zwei Begriffen der christlichen Dogmatik, welche zu jenen des Astral- oder Hauchkörpers und der subtilen Materie eine innere Verwandtschaft besitzen.

Wir verstehen nun, warum Niklaus von Flüe, einem unbewussten Drang folgend, nicht einfach einen äusseren und einen inneren Kreis, sondern zwei Doppelkreise gezeichnet hat: Der äussere Doppelkreis will darauf hinweisen, dass aus der Körpermaterie über das vegetative Nervensystem eine neue, subtile Materie, eben der göttliche Hauchkörper aufgebaut wird, der innere Doppelkreis zeigt, dass dieser Aufbau synchronistisch (im inneren, »subtilen« Aspekt des Herzens, das heisst im anahata (s. dazu unten)) geschieht.

Wie der Leser aufgrund meiner Ausführungen leicht einsehen kann, entsprechen die beiden Doppelkreise des Radbildes dem symbolischen Gehalt des Pelikans (Körper -> Herz -> Introversion -> synchronistisches Geschehen -> Austausch der Attribute -> Hauchkörper), die doppeltriadischen »Speichen« hingegen der Symbolik des Siegels Salomos (doppeltriadische Struktur und ambivalenter Energiebegriff). Mit dem Radbild ist Niklaus von Flüe somit die Vereinigung des Siegels Salomos und des Pelikans der Alchemie in einem Symbol gelungen, in welchem nun die beiden Triaden des Siegel Salomos derart verbunden sind, dass die Transformation der Energie stattfinden kann. Da die Nabe des Radbildes dem Herzen entspricht, geschieht dieser Austausch der Attribute eben in diesem Herzen, das heisst, in der totalen Introversion. Und nur in dieser - im absolut verschlossenen Pelikan - ist der Aufbau des weiblich-göttlichen Prinzips des Eros möglich.

Im Radbild kann also sowohl eine Psychifizierung der Materie als auch eine relativ gleichzeitige Rematerialisierung der objektivpsychischen Energie in eine hauchkörperartige Form der Materie stattfinden. Das Radbild wird so zu einem vollständigeren Symbol als das doppeltriadische Siegel Salomos, da in ihm nun der Aufbau des Hauchkörpers gemäss dem introvertierten synchronistischen Modus möglich wird. Es wird derart auch zum Symbol der von mir oben definierten inneren Synchronizität, welche der Deifikation des menschlichen Körpers, das heisst, dem Aufbau des Hauchkörpers, dient.

Wie wir oben gesehen haben, entspricht diese mikrokosmische oder innere Synchronizität dem Funktionsprinzip des introvertierten Eros. Offensichtlich ist Niklaus von Flüe in der tiefsten Introversion die Verbindung mit dem dritten Aspekt des erneuerten Gottesbildes, mit dem Prinzip des Eros, und der damit verbundene Aufbau des Hauchkörpers gelungen.

Dass Niklaus von Flüe einen äusserst intensiven Eros lebte, zeigt uns die Tatsache, dass er in der Einsamkeit in eine derart tiefe Beziehungsfähigkeit hineinwuchs, dass er bald einmal zum Ratgeber Hunderter wurde, welchen er direkt aus der Seele lesen konnte. Wie wir den Mitteilungen seiner Zeitgenossen entnehmen können, wurde seine Klause zeitweise förmlich von Hilfesuchenden belagert, und sein Ruf als Ratgeber breitete sich über halb Europa aus. So wurde der Schweizer Heilige schliesslich zum Vorbild des heute wieder intensiv konstellierten Archetypus des Priesterarztes, eines Ratgebers sowohl in psychologischen als auch in religiösen Fragen(40).

Doch auch der damals von einem Bürgerkrieg bedrohten Schweiz half er in entscheidendem Masse: Ohne sein Ranft zu verlassen, wurde er dank seines weit ausstrahlenden Eros zum erfolgreichen Vermittler an der Tagsatzung zu Stans. Er gilt daher als der eigentliche Vater des sogenannten Stanser Verkommnisses von 1481, einem Friedensvertrag zwischen der ländlichen Innerschweiz und den Städten, welcher die Beziehung der zerstrittenen Eidgenossen neu regelte. Dieser Vertrag bildete die Grundlage des Zusammenlebens der Schweizer für die nächsten dreihundert Jahre, und er war derart vom Geist des Eros geprägt, dass er sogar die Kriegswirren der Reformation überdauerte. Ohne Niklaus von Flüe würde daher die Schweiz in ihrer jetzigen Form kaum mehr bestehen(41).

Wir wissen von Niklaus von Flüe weiter, dass er die letzten zwanzig Jahre seines Lebens nichts mehr ass(42). Offensichtlich hatte der mit der Hilfe des synchronistischen Erosprinzips stattfindende Aufbau des Hauchkörpers zur Folge, dass er schon in diesem Leben keiner irdischen Nahrung mehr bedurfte. Seine Zeitgenossen berichten auch, dass er an anderen Orten, vor allem bei der heilkräftigen schwarzen Maria von Einsiedeln, gesehen worden sei(43). In der Parapsychologie nennt man dieses Phänomen Translokation oder Bilokation. Er selber spricht davon, dass er aus seinem Körper ausgetreten und auf diese Weise von seinem Ranft nach Sachseln gegangen sei(44), was an die ausserkörperlichen Erfahrungen (out of body experience; OOBE) erinnert. Niklaus soll auch die Fähigkeit der Kardiognosie besessen haben(45), das heisst, er sah direkt in das Herz der Mitmenschen und konnte ihnen in hellsichtiger Weise ihre bösen Taten nachweisen. Alle diese Phänomene können nur mit Hilfe des Synchronizitätsprinzips C.G. Jungs erklärt werden, und sie tauchen auch im Entwicklungsprozess der Sufis(46) und vor allem der Tantristen(47) auf. Diesen letztern wollen wir uns deshalb noch zuwenden, um zu zeigen, dass im christlichen Mystiker Niklaus von Flüe neben der muslimischen auch die buddhistische und hinduistische Mystik mit ihrem Anliegen des Aufbaues des Hauchkörpers konstelliert war.

 

 

5. Das Radbild und der Aufbau des Hauchkörpers (subtle body) im Tantrismus

Wie wir oben gesehen haben, führt das Motiv der Zerstörung der göttlichen Sinnesorgane in die Vergottung des vegetativen Körpers hinein. Das Konzept der Deifikation des vegetativen Körpers stellt eines der Zentralmotive des hinduistischen Tantrismus dar. Der Tantrist kennt neben der materiellen oder grobstofflichen Anschauung der Welt und des menschlichen Körpers, dem sthula-Aspekt, noch einen weiteren(48), den sogenannten suksma-Aspekt. Dieser besitzt göttliche Qualität und kann nur innerlich erfahren werden.

Mit Hilfe einer introspektiv-forschenden Einstellung haben die Tantriker entdeckt, dass diese göttliche Energie sich in sieben Zentren des vegetativen menschlichen Körpers konzentriert. Der sthula-Aspekt dieser Zentren entspricht gewissen Plexen (Nervenknoten) des vegetativen Nervensystems, der suksma-Aspekt den zu diesen Plexen gehörenden Chakras (vgl. Abb.5).

 

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Wie ich gezeigt habe (49), entsprechen die unteren drei Chakras in einer psychologischen Sprache der Triebtriade von Exploration, Sexualität und Aggression. Der Tantrismus versucht daher dieselbe introvertierte Auseinandersetzung mit der Triebhaftigkeit, welche, wie wir oben gesehen haben, ein Zentralmotiv des Sufismus und der Alchemie des Paracelsus darstellt.

Um sein Ziel der Veredelung der Triebenergie zu erreichen, öffnet der Tantriker in einem introvertiert- meditativen Prozess die Chakras von unten nach oben(50) und lässt die in ihnen enthaltene Energie in die Chakras über dem Zwerchfell, vor allem einmal in das anahata fliessen. Die damit verbundene Vorstellung besteht im hinduistischen Tantrismus darin, dass die Kundalinischlange die Chakras von unten nach oben durchbohrt. Wenn die drei qualitativ verschiedenen Energien in diesem introvertierten Prozess befreit worden sind, durchsticht die Kundalini schliesslich das anahata-Chakra, den suksma-Aspekt des vegetativen Herzplexus. Derart ist die erste Stufe des Aufbaus des subtilen Körpers erreicht(51).

Es ist unmittelbar einzusehen, dass diese Symbolik jener der drei Lanzenspitzen im Radbild des Niklaus entspricht, welche, von der Körpersphäre ausgehend, das Herz durchbohren.

Wenn wir das Zentrum des Radbildes als Herz interpretieren, stellen wir fest, dass drei weitere Lanzenspitzen von diesem ausgehen. Auch diese Symbolik stimmt mit der tantrischen überein: über dem anahata befinden sich drei weitere Chakras, welche von der Kundalinischlange ebenfalls durchstochen werden, nachdem diese das Herz-Chakra durchbohrt hat (vgl. Abb. 5). Derart werden die höheren Aspekte des Hauchkörpers aufgebaut(52). Der Dreiheitsaspekt dieses Hauchkörpers erinnert natürlich sofort an die erneuerte obere Trinität des alchemistischen Opus, und sein qualitativer Inhalt - die oberen drei koshas - erinnert an die Prinzipien der Meditation, des Logos und des Eros.

Das anahata, der suksma-Aspekt des Herzens, bildet derart das Zentrum zweier entgegengesetzter Triaden. Die unteren drei Chakras beinhalten offensichtlich den suksma- Aspekt der von mir so genannten Triebtriade, das heisst in einer psychologischen Sprache, den introvertiert erfahrbaren Aspekt der Exploration, der Sexualität und der Aggression, die oberen drei Chakras enthalten die erneuerte obere Trinität von Logos, Meditation und Eros, so dass das anahata letztlich eine untere und eine obere Trinität verbindet. Folgerichtig enthält das Herz-Chakra denn auch das Siegel Salomos (vgl. Abb. 5), die Vereinigung der instinktiven mit der geistig-psychischen Trinität, welches im Gegensatz zur Alchemie nun aber im menschlichen Herzen zu finden ist. Diese Verbindung des doppeltriadischen Symbols mit dem Herzen entspricht aber der Struktur des Radbildes.

Auch der buddhistische Tantrismus(53) ist bestrebt, durch eine Meditation (buddhistisch: dhyana(54)) die beiden Prinzipien der schöpferischen Erkenntnis (prajna) und des aktiven Allerbarmens (karuna) aufzubauen. Offensichtlich sollen also mit Hilfe einer Meditation die Prinzipien des Eros und des Logos aufgebaut werden. Diese Meditation bezieht sich dabei auf die »Triebkräfte«(55), die der Tantriker nicht etwa verneint oder vernichten will, sondern »im Feuer der Erkenntnis zu läutern und umzuwandeln (sucht), so dass sie zu Kräften der Erleuchtung werden«(56). Auch diese Triebkräfte des Buddhismus sind in einer unteren Trinität strukturiert, deren introvertiert erfahrbarer Aspekt durch die drei unteren Chakras muladhara, svadhisthana und manipura visualisiert wird. Zudem existiert die Vorstellung, dass die sushumna, der die Chakras verbindende Zentralkanal der Wirbelsäule (vgl. Abb. 5), diese Chakras durchsticht. Offensichtlich wird auch hier die triebhafte Energie in der Exploration, der Sexualität und der Aggression in einem introvertierten Prozess vorerst einmal in das anahata geleitet, wobei auch dieses vierte Chakra von der sushumna durchstochen wird.

Wenn dann, ausgehend vom anahata, durch eine weitere Transformation die drei oberen Prinzipien aufgebaut worden sind, findet eine Vereinigung von prajna und karuna statt, und diese »stellt den vollkommenen Pfad der Erleuchtung dar«(57). Wenn nämlich prajna, »das ruhende, allumfassende, alles in sich aufnehmende und alles aus sich hervorbringende 'Ewig-Weibliche', vereint ist mit dem dynamisch-männlichen Prinzip des aktiven Allerbarmens (karuna), der alldurchstrahlenden Kraft tätiger Liebe..., dann ist die vollkommene Buddhaschaft erreicht. Denn Verstand ohne Gefühl, Wissen ohne Liebe, Erkenntnis ohne Mitleid, führt zur reinen Negation, zur Erstarrung, zum geistigen Tod, zum blossen Vakuum; während Gefühl ohne Vernunft, Liebe ohne Erkenntnis (blinde Liebe), Mitleid ohne Wissen, zu Verschwommenheit und völliger Auflösung führt. Wo aber beide Seiten vereint sind, wo die grosse Synthese von Herz und Hirn, Gefühl und Verstand, höchster Liebe und tiefster Erkenntnis stattgefunden hat, dort ist die Ganzheit hergestellt, die vollkommene Erleuchtung erreicht«(58).

  

6. »Was die Welt im Innersten zusammenhält«

Diese Vereinigung von Eros und Logos mit der Hilfe der Meditation (imaginatio) entspricht auch einem Ziel des alchemistischen Opus, der Herstellung des im empirischen Menschen inkarnierten Gottmenschen, welches, wie wir gesehen haben, einzig der Paracelsus-Schüler Gerhard Dorn beschrieben hat. Er geht nach seiner unio corporalis, in welcher der innere synchronistische Austausch der Attribute stattfindet, noch einen Schritt weiter, indem er das Ziel des Opus in der typischen mythologisierenden Sprache der Alchemisten folgendermassen beschreibt(59): Nachdem der Stein (lapis) - ein Synonym sowohl des deifizierten Hauchkörpers als auch des erneuerten Gottesbildes - durch die alchemistische Prozedur hergestellt worden ist, beginnt er »eine dunkle (obscurus) und rote Flüssigkeit, gleich wie Blut ... tropfenweise aus(zu)schwitzen«(60). [vgl. zu diesem Motiv das dazu synonyme der Extraktion der roten Tinktur aus dem lapis]

Natürlich fällt uns sofort die ähnlichkeit dieses Prozesses mit der Symbolik des Radbildes auf, in welchem die drei »Lanzen« in das Herz stossen, womit natürlich die Assoziation der Befreiung des Blutes des Gottmenschen verbunden ist. Aber auch das Zentralmotiv der Herz-Jesu-Mystik, der Lanzenstoss des Longinus in das Herz Christi, kommt einem unmittelbar in den Sinn. Doch kann es sich, wie Jung betont, bei diesem Prozess nicht um eine Rückkehr zur Herz-Jesu-Mystik handeln. Denn weil der alchemistische Stein durch menschliches Bemühen aufgebaut wird und zudem seine Wurzeln in dessen Triebsphäre hat, kann er nicht dem historischen Christus entsprechen. Gemäss den Aussagen des Gerhard Dorn symbolisiert daher dieser Blut ausschwitzende Stein den putissimus homo, den Jung als den »echtesten« und »unverfälschten« Menschen deutet, im Gegensatz zu Christus, der den homo purissimus, den reinen, das heisst den von aller Sünde freien Gottmenschen darstellt. Wie Jung darlegt, handelt es sich bei diesem Dorn'schen Ziel des Blut ausschwitzenden Steines um den im ganz gewöhnlichen Menschen inkarnierten Gottmenschen der Zukunft, den alchemistischen Servator cosmi, der am Beginn der apokalyptischen Zeit kommen und »das bewirken soll, was der Opfertod Christi offenbar unvollendet gelassen hat, nämlich die Befreiung der Welt vom Übel«(61). Und Jung zieht den Schluss, dass es sich bei diesem inkarnierten Gottmenschen tiefenpsychologisch gesehen um eine Vereinigung der Prinzipien von Eros und Logos handelt, welche durch eine Bearbeitung der Triebhaftigkeit, das heisst offensichtlich durch ein imaginatives Prinzip, zustandegekommen ist.

Das Ziel der Inkarnation des putissimus homo entspricht also jenem des Aufbaus eines erneuerten Gottesbildes, das die Alchemie durch die Doppeltrinität des Siegels Salomos darzustellen versuchte, mit dessen Hilfe die Erlösung der in der Materie, im menschlichen Körper und in dessen Trieb haftigkeit gefangenen Weltseele geschehen sollte(62). Wie wir gesehen haben, scheiterte die Alchemie aber an der Tatsache, dass sie an der christlichen Trinität festhielt.

Erst Dorneus ahnte, dass diese Doppeltrinität aus einer erneuerten oberen Trinität der drei Prinzipien des Logos, der Meditation und des Eros bestehen sollte, welche aus ihrem materiellen Spiegelbild, der unteren Trinität der Aggression, der Exploration und der Sexualität, herausdestilliert werden soll. Wir haben weiter gesehen, dass diesem abstrakten Gottesbild der energetische Aspekt, das heisst vor allem ein die Gegensätze verbindender Ort fehlt, in welchem diese Transformation stattfinden könnte. Deshalb konnte die Alchemie ihre beiden Hauptsymbole, den Pelikan und das Siegel Salomos, noch nicht in einem Symbol vereinigen.

Erst das Radbild des Niklaus von Flüe enthält die Idee der Energetisierung dieses abstrakten Gottesbildes, welche auch dem tantrischen und dem sufischen Prozess innewohnt. Und erst diese Energetisierung, welche empirisch gesehen einer introvertierten Auseinandersetzung des abgeblendeten Bewusstseins mit der Triebhaftigkeit entspricht, schafft die Voraussetzung dafür, dass dieses erneuerte Gottesbild, die erlöste Weltseele oder der von Jung erwähnte putissimus homo oder Servator cosmi, in den Erfahrungsbereich des menschlichen Bewusstseins eindringen kann. Das Radbild zeigt uns weiter, dass der makrokosmischen Erlösung der Weltseele der Aufbau eines mikrokosmischen, deifizierten Hauchkörpers entspricht, in welchem die beiden Trinitäten über das Symbol des Herzens, das heisst über die Erfahrung der inneren Synchronizität, verbunden sind.

Auf diese Weise ist aus der Doppeltrinität des Siegels Salomos die 2x(3+1)-Struktur des Radbildes, das heisst, eine ganz spezifisch strukturierte Achtheit (Ogdoas)(63) entstanden. Eben diese spezifische Struktur taucht heute im sogenannten Mesonen-Oktett(64) der Quantenphysik wieder auf, und auch dieses entsteht aus dem doppeltriadischen Quark-Antiquark-Sextett (vgl. Abb. 6). Das Mesonen-Oktett beschreibt aber nichts weniger als die Atomkraft, welche die Elementarteilchen jedes Atomkerns aneinanderkettet. »Was die Welt im Innersten zusammenhält«, ist also einerseits diese Atomkraft, andererseits aber das Radbild des Niklaus von Flüe!

 

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Abb. 6: Das Quark-Sextett und das Mesonen-Oktett

 


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1) Franz, Marie-Louise, v.: Die Visionen des Niklaus von Flüe, 2. Aufl., Zürich, 1980

8) Es handelt sich bei diesem Bild um ein aus der Er innerung aufgezeichnetes Bild eines Besuchers (Bovillus) des Niklaus (zit. nach Durrer, 2. Bd., S. 561)

10) Roth, Remo F.: Die Gottsucher; Eine Vereinigung der christlichen Mystik und der Quantenphysik in der Synchronizität C.G. Jungs, Frankfurt, 1992

13) »Es scheint, der Selige habe sich hier mehr in das Geheimnis gehüllt als bei andern Erscheinungen, so dass auch seine vertrauten Freunde und Altersgenossen darüber nichts Genaues auszusagen wissen und daher vorziehen zu schweigen.« (Stöckli, A.: Die Visionen des seligen Bruder Klaus, Einsiedeln, 1933, S. 33).

14) In diesem Zusammenhang ist ausdrücklich darauf hinzuwei sen, dass die in der Kirche zu Sachseln zusammen mit dem Radbild an die Wand gemalten Medaillons mit christlichem Inhalt nicht von Niklaus stammen, sondern eine spätere Hinzufügung darstellen (vgl. dazu v. Franz: Visionen..., S. 121, Anm. 22 bzw. Stöckli, A.: Die Visionen des seligen Bruder Klaus, Einsiedeln, 1933, S. 42ff.).

15) Auch der Ansicht Blankes, S. 95ff., dass das Radbild und die Vision vom erschreckenden Gottesantlitz nicht zusammengehören, muss aus tiefenpsychologischer Sicht widersprochen werden (Vgl dazu Jung: Von den Wurzeln des Bewusstseins, S. 12f.). Meines Erachtens zeigt sich in der Entwicklung von der ursprünglichen Vision zum Radbild, dass Niklaus dem vorbewusst-archetypischen Fluss gefolgt ist, der durch die erwähnte Abstraktions- und Energetisierungstendenz die christliche Definition des Gottesbildes erweitern will.

16) zum folgenden s. Roth, Remo, F.: Die Gottsucher, Kap. 4

17b) Roth, Remo, F.: Hat AIDS einen Sinn?, Behandlungsmöglichkeiten der HIV-Infektion auf der Grundlage tiefenpsychologischer Imaginationsmethoden, IKOS Verlag, Maur-Zürich, 1994, S. 97ff.

21) vgl. dazu Die Gottsucher, Kap. 2

Auch von Muhammad, dem Begründer des Islam, wird erzählt, dass ihm das Herz gespalten wurde (Schimmel, A.: Und Muhammad ist sein Prophet, Diederichs Gelbe Reihe, DG 32, 1981, S. 52).

24) es finden sich bei Niklaus sehr viele Symbole, die auch in der sufischen Mystik eine grosse Rolle spielen

36) Wie wir weiter unten sehen werden, ist mit diesem Herzen dessen Hauchkörperaspekt gemeint, welcher im Tantrismus anahata genannt wird. In diesem findet die Transformation des grobstofflichen in den feinstofflichen Aspekt der Körpermaterie statt.

38) Auf der Grundlage dieser Einsicht habe ich die von mir so genannte therapeutische Methode der Körperzentrierten Imagination oder Symptom-Symbol-Transformation zur Behandlung somatischer Krankheiten entwickelt, eine auf der Aktiven Imagination C.G. Jungs, dem focusing Eugene Gendlin's und den Einsichten des Paracelsus beruhende, imaginative Methode, in welcher die einem Symptom oder einer somatischen Krankheit entsprechenden inneren Bilder gesucht werden. Diese Methodik beinhaltet eine bewusste "Blindheit" gegenüber dem somatischen Symptom (dem von der Psyche aus gesehenen "Aussen"), mit dem Zweck, das zugehörige, innere, aus dem vegetativen Nervensystem entstehende Bild, das Symbol, zu extrahieren. Die Deutung solcher Bilder scheint einen negentropischen Prozess in Gang zu setzen, welcher heilend wirkt. Auf der Basis dieses Ansatzes lässt sich zudem eine neuartige, auf der Psychologie Jungs beruhende, archetypische Psychosomatik aufbauen. (Vgl. dazu: Roth, Remo, F.: Hat AIDS einen Sinn? - Behandlungsmöglichkeiten der HIV-Infektion auf der Grundlage tiefenpsychologischer Imaginationsmethoden, IKOS-Verlag, Maur-Zürich, 1994).

39) Dass derart das Phänomen der erneuerten oberen Trinität in einem Zusammenhang mit dem Astralkörper gebracht wird, müsste eigentlich der Quantenphysik, welche mit den drei Quarks anti-up, anti- down und anti-strange eine erneuerte obere Trinität postuliert, zu denken geben. Offensichtlich hängt die hinter der Antimaterie auftauchende negative Energie mit dem subtle body zusammen.

42) Gemäss den von seinem Beichtvater bezeugten Aussagen genügte es ihm, der Messe beizuwohnen und dem Priester bei der Kommunion zuzusehen, um seinen Körper am Leben zu erhalten! (Durrer, S. XX). Offensichtlich hatte der Heilige einen Weg zum Aufbau negentropischer (lebenserhaltender) Energie gefunden, ein weiterer Hinweis darauf, dass ihm unbewusst der Aufbau des subtle body gelungen ist.

45) Marie-Louise von Franz bringt diese Gabe der Kardiognosie in einen Zusammenhang mit der Entwicklung des Erosprinzips, welches einen direkten Zugang zum »vorbewussten« oder »absoluten Wissen« des kollektiven Unbewussten ermöglicht.

48) Er kennt auch noch einen dritten, den para-Aspekt

49) in Die Gottsucher, 5. Kapitel

50) Da der Tantrismus das »Bewusstsein« bei Beginn des Prozesses im Bauch lokalisiert, ergibt sich eine Flussrichtung der Energie von unten nach oben. Der heutige westliche Mensch identifiziert sich im Gegensatz dazu mit einem Bewusstsein, das irgendwo in der Kopfgegend angesiedelt ist, weshalb er sich vorerst einem Prozess von oben nach unten unterwerfen muss. Dieser Prozess entspricht jenem des Absturzes des Gottmenschen.

59) vgl. zu dieser Problematik im allgemeinen Jung, C.G.: GW 13, § 383ff.

60) ebd., § 381

61) ebd., § 391

62) Wie ich in meinem Buch Hat AIDS einen Sinn? - Behandlungsmöglichkeiten der HIV-Infektion auf der Grundlage tiefenpsychologischer Imaginationsmethoden, IKOS- Verlag, Maur-Zürich, 1994 gezeigt habe, entspricht das HI- Virus symbolisch-phänomenologisch gesehen der Weltseele (Purusha). Deren Erlösung aus dem menschlichen Körper durch imaginative Methoden stellt daher einen vielversprechenden tiefenpsychologischen Ansatz zur Behandlung HIV-Betroffener dar.

63) Diese Ogdoas erinnert natürlich an die Typologie C.G. Jungs mit ihren acht möglichen Funktionen, wobei jeweils der inferioren Funktion, der Verbindung mit dem kollektiven Unbewussten bzw. mit der Weltseele, eine Sonderrstellung zukommt.

64) zum folgenden vgl. Roth, Remo, F.: Die Gottsucher, Kap. 6